Jugendprüfung
Experimentelle Archäologie im Ostalbkreis

Jugendprüfung der Alamannengruppe Raetovarier und der Keltengruppe Epona war ein voller Erfolg

Die Sonne steht noch tief im Osten und zaubert ein herrliches rotes Lichtspiel an den Himmel und die vorüberziehenden Wolken, als ich am Samstag, 30.06.2007 mit dem Auto Richtung Ipf fahre. Um 07.00 Uhr treffen wir uns am Parkplatz am Fuße des Ipf. Unsere drei Jungs sind wegen der bevorstehenden Prüfungen schon sichtlich nervös.
Der Himmel zieht sich langsam mit grauen Wolken zu, als wir die drei Jungs im Zeremoniell auf ihre Prüfungen und einen langen Marsch vorbereiten. Ihnen wird die Richtung des Weges gewiesen, Glück gewünscht und der erste Treffpunkt benannt. Dann gehen sie los und die Zeitreise beginnt. Karl-Heinz Binder, der Keltenhäuptling, und ich besteigen unsere Pferde und jeden Anwesenden überkommt ob der Kulisse des mächtigen Ipf und unserer historischen Darstellung ein schier unbeschreibliches Gefühl in die Vergangenheit zurückversetzt worden zu sein.

Die Prüflinge, Dennis Gräupel, Dennis Müller und Florian Bernhardt legen ein ganz schönes Tempo vor, so dass wir unsere Pferde anfänglich antreiben müssen um sie einzuholen. Der Ritt ist ungewohnt mit dem quer am Gürtel befestigten Sax, dem hölzernen Rundschild am Rücken über die Schulter gehängt und dem am Schild befestigten Ger, welcher dieses noch schwerer macht. Wir reiten still hinter den Jungs her und ich schaue mich um. Langsam bewundere ich immer mehr die herrliche Landschaft, stelle mir vergangene Zeiten vor und befinde mich kurz darauf vor meinem geistigen Auge in eben diesen Zeiten. Dann mache ich mir die vergangene Geschichte innerlich klar und fühle mich immer mehr als Teil von ihr.

Nach dem nächsten Trab reißt einer der Lederschnüre, mit welchen ich meinen Ger am Schild befestigt hatte. Von nun an muss ich meinen Wurfspieß stets in einer Hand halten. Hier mache ich mir die ersten Gedanken darüber, wie wohl unsere Vorfahren mit ihren Gerätschaften zurecht kamen, was für Techniken sie sich einfielen ließen und welche Mittel zur Bewältigung sie hatten. Vermutlich wurde der Speer am Sattel befestigt, oder wurde er in einer Art Köcher getragen? Darüber muss ich wohl noch nachlesen oder mir selbst etwas einfallen lassen.

Am ersten Punkt, Itzlingen, angekommen dürfen sich unsere Prüflinge erst mal stärken. Dann werden sie in keltischer und germanischer Mythologie abgeprüft. Dennis Gräupel überrascht mich nicht nur mit korrekten Antworten, sondern mit einem zusätzlich profunden Wissen hierzu, was ihm zu einem hervorragenden Bestehen der Prüfung verhilft. Auch die beiden anderen Probanden geben ihr Wissen in keltischer Mythologie zum Besten und bestehen ebenfalls ihre erste Prüfung.

Dann geht es auch schon weiter und ihnen wird der nächste Punkt, Riepach, benannt. Als Hilfe zur Wegfindung werden ihnen die drei Windräder von Gerau gezeigt, welche weit ins Land hinein sichtbar sind.
Wieder verliere ich mich in der Geographie und der Geschichte, mache mir Gedanken darüber, wie es wohl vor rund 2000 Jahren hier aussah und wie die Lebensweise der Menschen damals war. Meine "Josi" trägt mich wacker auf ihrem Rücken und peilt immer wieder nach dem rechts oder links herausstehenden Ger zurück. Manchmal versuche ich meinen Schild anders am Riemen zu verlagern, da dieser nun doch anfängt an der Schulter und vor allem am Hals zu scheuern und zu drücken. Dann erkenne ich in einiger Entfernung die Walfahrtskirche Zöbingen und rufe mir das dort befindliche, alamannische Gräberfeld und die Entstehungsgeschichte der Kirche in Erinnerung. Wieder mache ich mir Gedanken über die damalige Zeit und unserer Vorfahren.

 

Unsere drei Jungs machen sich gut. Keine Ermüdungserscheinungen, kein Gejammer, kein Verlangen nach einem Fernseher, Videospiel, PC oder einem Radio. Nein, man sieht sie stets mit einem Lächeln im Gesicht und mit Freude und Spaß an der ganzen Sache. Es fiel schon auf, dass sie die gesamte Prüfung sogar ernst nehmen und schon die Mythologie-Prüfung ließ ein Vorbereiten und Lernen erkennen. Auch ihre Wege wählen sie mit Bedacht und schlagen immer die richtige Richtung ein.
Langsam nähern wir uns Riepach und den Jungs wird nun der genaue Zielpunkt, ein kleiner Weiher unterhalb Riepach Richtung Stödtlen benannt. Noch beim Durchreiten eines kleinen Wäldchens denke ich mir, wie einfach es doch heute ist seinen Weg zu finden, durch all die Straßen und Wege und die vielen Ortschaften. Man verliert kaum die Orientierung und ich denke mir, wie es im Umkehrschluss schwierig für unsere Vorfahren gewesen sein muss, immer den richtigen Weg zu finden. Dann schaue ich besorgt zum Himmel und hoffe dass der befürchtete Regen nicht einsetzen wird.

Als wir durch Riepach kommen sehen wir einige verwunderte Anwohner, welche uns mit Neugier aber auch Skepsis betrachten. Tja, genauso würden wohl wir "modernen Menschen" in der Vergangenheit auffallen. Am zweiten Punkt angekommen werden wir schon durch die anderen Gruppenmitglieder erwartet. Die Jungs können sich erst nochmals stärken und der befürchtete Regen setzt doch ein. Auch ich fühle mich nun wohler, als ich nach mehrstündigem Ritt vom Pferd steigen und mir die Beine vertreten kann. Hier sollte ich wohl anfügen, dass dies für mich erst das vierte Mal auf dem Rücken eines Pferdes ist. Dementsprechend fühle ich schon Muskelpartien, von denen ich bislang nichts wusste. Regen, wie unpassend für die nächste Prüfung bei welcher die Jungs Feuer entfachen müssen. Doch als ob der Donnergott "Donar" höchstpersönlich über alles wacht, hört der Regen mit Beginn der Prüfung auf und ringsherum ist alles nass und nicht mehr brandgefährdet.
Mit Freude beobachte ich, dass nicht nur wir mit Bedacht einen Platz neben Wasser ausgesucht haben, sondern ebenso voraussichtig auch die Jungs sich ein Teerstück für ihre Prüfung aussuchen. Jeder nimmt sich ein wenig Heu, formt es zu einer Art kleines Vogelnest legt sich einen Zweig Reisig daneben bereit und schon beginnen die Drei den Versuch mit Feuerschläger, Feuerstein und Hanffäden ein Feuer zu entfachen. Doch lernen hier nicht nur die Jungs, sondern auch wir, dass es erstens nicht nur schwierig ist auf diese Art ein Feuer zu entfachen, sondern es auch auf die richtige Ausrüstung und Zubehör ankommt. Dennis Müller entfacht schon nach kürzester Zeit sein Feuer, während seine beiden Mitstreiter langsam Verzweifeln. Dann klappt es auch bei Florian Bernhardt und angefeuert durch seine Schwester Saskia brennt auch bald das Feuer bei Dennis Gräupel. Die drei freuen sich miteinander, dass es jeder von ihnen geschafft hat. Es ist schön zu sehen, mit welchem Enthusiasmus unsere Jugend mit dabei ist.

Noch bevor es weitergeht und ich mein Pferd besteige, mache ich mir Gedanken über die Trageweise meines Schilds, denn mein Nacken schmerzt immer mehr. Dann überlege ich mir, ein dickeres Halstuch umzubinden. Hatten dies unsere Vorfahren eigentlich auch? Warum nicht, Kopftücher waren bekannt und von römischen Darstellungen weiß ich, dass es auch Halstücher gab. Warum also nicht auch bei den Germanen? Dadurch wird die Trageweise erheblich verbessert.
Es geht weiter Richtung Stödtlen. Kaum haben wir Stillau hinter uns gelassen und das Gefälle zu Stödtlen vor uns, machen sich erste Probleme erkenntlich. Der gewählte Weg ist durch einen Schafzaun versperrt. Dies bedeutet einen Umweg. Nachdem wir einige hundert Meter weiter sind, entschließt sich Karl-Heinz ein ziemlich steiles Stück hinab zu reiten, um nicht noch mehr Umweg in Kauf nehmen zu müssen. Zu Fuß ließe ich mir dies ja gefallen, aber mit dem Pferd?
Ach was soll's, ich vertraue einfach meiner "Josi". Also lehne ich mich im Sattel weit nach hinten und lass Josi den Weg abwärts wählen. Hin und wieder muss ich sie bremsen, aber ansonsten habe ich mich richtig entschieden, Josi wählen zu lassen. Auch unsere Jungs nehmen das Gefälle mit Leichtigkeit und können durch eine kleine Abkürzung den verlorenen Weg wieder wett machen.

Im nächsten Wald beobachte ich nun doch eine erste Ermüdung und Anzeichen der Strapazen. Kameradschaftlich nehmen die beiden Dennisse Flo, dessen rechtes Knie urplötzlich Probleme macht, in die Mitte und stützen ihn. Prima denke ich mir, trotz ihres Wetteifers halten die Jungs zusammen. Dann entschließe ich mich ihre Reserven aufzupeppen und versorge sie mit meinem mitgeführten Traubenzucker. Auch bei der sich dann anschließenden Suche nach geeigneten Speerschäften beobachte ich wieder ein Miteinander bei den Jungs, während Josi und ich mit einem Massenangriff von Pferdebremsen zu kämpfen haben. Immer wieder bockt das Pferd und beugt sich auf, so dass ich oftmals das Gefühl habe gleich abgeworfen zu werden. Diese Biester fressen uns beinahe auf und ich versuche so viel wie möglich zu erlegen, doch kommen dann wieder doppelt so viele zur Beerdigung!

Ungefähr drei Kilometer vor unserem durch die anderen Gruppenmitglieder errichteten Lager bei Dürrenstetten reiten Karl-Heinz und ich voraus und lassen die Jungs den letzten Wegabschnitt alleine zurück legen. Endlich am Lager eingetroffen bin ich wieder froh vom Pferd zu kommen und bemerke nun doch eine Ermattung meinerseits. Hier stelle ich fest, dass es zu Pferd nicht einfacher als zu Fuß ist. Auch ein mehrstündiger Ritt verlangt dem Körper einiges ab. Liegt es daran, dass ich es nicht gewohnt bin? Unsere Vorfahren sind in all dies hineingeboren worden, wuchsen damit auf und lebten damit. Somit dürfte für sie ein solcher Ritt wohl müheloser gewesen sein als für mich. Und dennoch erfüllt mich eine Ehrfurcht über die Leistungen unserer Altvorderen.

Nun treffen auch unsere Jungs wohlbehalten im Lager ein und sind sichtlich erleichtert und froh die Wegstrecke von ca. 25 Kilometer hinter sich gelassen zu haben. Nun erkennt man auch deutlich die Strapazen des Marsches, aber sie haben es geschafft. Nach einer kurzen Stärkung kommt die nächste Prüfung. Dagmar Scholz hat sich zuvor schon mal in der Wiese umgeschaut und verlangt von den Jungs drei bestimmte Kräuter zu sammeln. Innerhalb kürzester Zeit haben alle drei einen Löwenzahn, einen Spitzwegerich und einen Breitwegerich eingesammelt. Es werden noch einige weitere Kräuter und deren Wirkungen abgefragt und hier zeigt sich Flo tatsächlich als belesener. Mit Elan stürmen die beiden Dennisse nochmals auf die Wiese und ein jeder von ihnen bringt jeweils noch eine ihnen bekannte Heilpflanze. Respekt, da haben sie mir doch tatsächlich was voraus!

Nach einem letzten kleinen Stockkampf mit Michael Gräupel und mir werden die drei Jungs in einem feierlichen Zeremoniell nun endlich in die Mitte der erwachsenen Männer aufgenommen. Durch die Überreichung einer Gerspitze wird ihnen der neue Status zuerkannt, nach welchem sie künftig auch bei Entscheidungen mit einbezogen werden und, wie bei den alten Germanen üblich, Waffen tragen dürfen. In diesem Falle natürlich ungefährliche Schauwaffen.
Ein Stolz macht sich breit, den alle Anwesenden spüren und selbst versprühen. Nach lobenden Abschlussworten seitens der Häuptlinge wird zum Feiern und vor allem Essen übergegangen. Hiernach üben sich die Jungs nochmals im Speerwurf mit mir und wir haben riesen Spaß mit einander. Ja, es ist schon fast ein olympischer Gedanke bei unserem Wetteifer mit dem Wurfspieß zu erkennen und den Göttern sei dank, ich verteidige meine Häuptlingsehre und treffe als erster das Ziel. Puh, Glück gehabt.

So sporne ich die Jungs nochmals an, auch künftig weiter mit Spaß aber auch energisch mit Ernsthaftigkeit bei uns mit zu machen.
Es entsteht eine entspannte Atmosphäre mit historischem Charakter, gelassen und matt nach einem langen Tag sitzen die Leute beieinander, reden, essen, trinken messen sich immer wieder in einem Stockkampf oder im Speerwerfen. Es wird über Geschichte und Archäologie geredet und selbst die Jugend bringt sich in diese Themen ein. Die Stimmung wird ruhiger und es wird dunkler. Die ersten wandern ab Richtung ihrer Lagerstatt. Es ist Nacht und fast unmerklich zieht der Vollmond über einem entfernten Waldstück auf. Leichte Schleierwolken legen sich vor diesen rotschimmernden Mond und zeichnen ein faszinierendes Bild ans Firmament. Langsam begebe ich mich zum Lagerfeuer und lasse das Treiben hinter mir. Das Gemurmel der Leute wird leiser und wieder versinke ich in Gedanken.

Immer höher kommt der Mond, immer voller, leuchtend rot. Nebel steigt über einen unweit entfernten See und zeichnet ein schon fast mystisches Bild in die Landschaft. Langsam erfasst auch mich diese Aura und ich lasse den Tag und das Erlebte Revue passieren.
Dann begreife ich die Wirkung dieser Stimmung auf unsere Vorfahren und dieses damit verbundene mystische Denken. Ehrfurcht vor diesen Menschen, die der Natur weitaus näher verbunden waren als wir heute, die ihre tägliche Herausforderungen teils mit eben solchem mystischen Denken meisterten und all diese Strapazen erleiden mussten, welche wir heute nur zum Teil erfuhren.
Ein toller Tag geht zu Ende, unsere Jugend hat sich bewiesen und wir konnten experimentelle Archäologie erleben. Diese Erfahrungen werden wir umzusetzen wissen und diesen Auftakt zu unserem Kinder- und Jugendprogramm nutzen um dieses zu modifizieren. Geschichte erleben, Geschichte leben. Dies wird unser Hobby auch künftig prägen.

Stefan Müller
"Frodi, Häuptling der Raetovarier"